„Fit for 55“ - der „Mann auf dem Mond” Moment für den Klimaschutz?

Berlin, 21. Juli 2021 – Europa soll mit dem „Green Deal“ der erste klimaneutrale Kontinent werden. Um mindestens 55 Prozent müssen die Treibhausgase der EU dafür bis Ende des Jahrzehnts im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Dafür sind 54 Gesetze und Verordnungen der EU bis Ende 2022 zu überarbeiten - kein Sprint also, sondern ein Marathonlauf. Deutschland, der größten Volkswirtschaft der EU, kommt bei der Umsetzung eine zentrale Rolle zu. Dieses Paket betrifft alle wesentlichen Bereiche der Wirtschaft und des Lebens.

Dabei gilt: Ziele zu definieren ist das eine, sie mit Leben zu füllen das andere. „Wir brauchen einen Turbo in allen Sektoren, um endlich von der reinen Ankündigung neuer Ziele in die Umsetzung zu kommen. Es gibt kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem“, fasst Dr. Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer des MITTELSTANDSVERBUNDES, die Lage zusammen. „Außer Frage steht dabei der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, gerade mit Blick auf die geplanten Klimazölle, dem sogenannten Grenzausgleichsmechanismus des „Fit for 55“-Paketes. Der Bezug von Vorprodukten aus Ländern außerhalb der EU ist im internationalen Handel keine Seltenheit und darf nicht zu Wettbewerbsverzerrungen am Markt führen.“

Das Paket „Fit for 55“ enthält folgende Handlungsfelder:

Ambitionssteigerung des Emissionshandels

Das bisherige Einsparziel des bestehenden Emissionshandels für Industrie und Energieerzeuger (European Trading System - ETS) wird in dem vorliegenden Paket gegenüber der Emissionsmenge von 2005 von 43 Prozent Einsparung bis 2030 auf 61 Prozent deutlich verschärft. Die Einnahmen aus dem ETS sollen zu 100 Prozent in klimafreundliche Investitionen fließen.

Neugeschaffener Emissionshandel für Gebäude und Verkehr

Beide Sektoren machen 35 bzw. 22 Prozent der Emissionen der EU aus. Nach den Plänen der EU soll die Emissionsreduktion in diesen Bereichen auf 43 Prozent im Vergleich zu 2005 angehoben werden. Erreicht werden könnte dies mit der Einführung eines Emissionshandels - ähnlich dem seit Beginn dieses Jahres geltenden Emissionshandels für Wärme und Verkehr in Deutschland. So sollen ab 2026 Inverkehrbringer von Kraft- und Heizstoffen CO2-Zertifikate kaufen müssen, deren maximal zulässige Obergrenze 2026 festgelegt wird.

Mit der Einführung eines Emissionshandels für Gebäude und Verkehr sollen Anreize gesetzt werden, auf klimafreundliche Technologien und klimafreundliche Kraft- und Heizstoffe umzusteigen.  Zum Ausgleich möglicher sozialer Härten, beinhaltet das „Fit for 55“ Gesetzespaket ebenfalls einen Sozialfonds (Climate Action Social Facility), der mit 20 Prozent aus Einnahmen des Emissionshandels für Gebäude und Transport gespeist werden soll. Vorgesehen ist, die Gelder besonders belasteten/ betroffenen Haushalten zur Verfügung zu stellen, die dadurch einen erleichterten Umstieg auf fossilfreie Alternativen erhalten.

Zu bemängeln ist, dass eine vergleichbare Härtefallregelung wie beispielsweise beim EEG in diesem Fall zwar auch für die Industrie, nicht jedoch für kleine und mittelständische Unternehmen vorgesehen ist.

Lastenteilung

Beide Sektoren, Verkehr und Wärme, waren bisher dem Lastenteilungsbereich (Effort Sharing Regulation - ESR) zugeordnet, der alle Emissionen abdeckt (bis auf die Landnutzung) und somit rund 60 Prozent aller Emissionen der EU ausmacht. Das Prinzip der Lastenteilung setzt jedem Mitgliedsstaat nationale Reduktionsziele. Nun sollen die CO2 Reduktionsziele von beiden Instrumenten, ETS und ESR, deutlich hochgesetzt werden. Für Deutschland bedeutet das ein neues Reduktionsziel von 50 Prozent bis 2030 statt der bisherigen 38 Prozent.

Erneuerbare Energien

Reformiert wird auch die Richtlinie zur Förderung der erneuerbaren Energien (Renewable Energy Directive - RED). So soll der EU-weite Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch auf 40 Prozent gesteigert werden.

Energieeffizienz

Unter dem bekannten Motto „Energy Efficiency first“ soll das Themengebiet Energieeffizienz / Energieeinsparung als „eigenständige Energiequelle“ behandelt werden. Hierfür werden den Mitgliedstaaten verbindliche jährliche Ziele für die Verbrauchssenkung gesetzt. Dies führt für Deutschland zu einer Verdopplung der bisherigen Einsparverpflichtungen.

CO 2 Grenzausgleich

Zur Vermeidung von Carbon Leakage (Situation, die eintreten kann, wenn Unternehmen aufgrund der mit Klimamaßnahmen verbundenen Kosten ihre Produktion in andere Länder mit weniger strengen Emissionsauflagen verlagern) wird ein neues Instrument, der sogenannte Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism - CBAM) eingeführt. Der Import emissionsintensiver Produkte, wie beispielsweise Eisen und Stahl, Zement, Aluminium, Düngemittel etc. soll, so der Gedanke, mit dem Erwerb von Emissionszertifikaten gekoppelt und so einem Abwandern emissionsintensiver Industrien entgegengewirkt werden.

Natürliche CO 2-Senken

Wälder, Moore und Böden entziehen der Atmosphäre CO2. Dieser natürliche Effekt soll künftig stärker erhalten und gestärkt werden. Die Verordnung für Landnutzung, Forst- und Landwirtschaft (Land Use, Land Use Change and Forestry - LULUCF) sieht vor, dass natürliche Senken der Atmosphäre bis 2030 rund 310 Millionen CO2 entziehen.

Energiesteuern

Im Paket wird auch die Energiesteuerrichtlinie neu ausgerichtet, nach dem Prinzip: Steuern auf CO2-intensive fossile Energieträger rauf, Steuern auf grünen Strom und strombasierte Kraftstoffe runter. Klimaschädliche Steuerausnahmen soll es nicht mehr geben. Die Einführung der Besteuerung ist für 2023 vorgesehen.

Infrastruktur für alternative Antriebe

Die Verordnung über Infrastruktur für alternative Kraftstoffe soll Mitgliedstaaten verpflichten, die passende Infrastruktur für alternative und klimafreundliche Antriebe auszubauen. Die wichtigsten Schnellstraßen sollen alle 60 Kilometer eine E-Lademöglichkeit und alle 150 Kilometer eine Wasserstofftankstelle bieten.

Fazit

Die EU hat mit ihrem Paket „Fit for 55“ erstmals ein hochkomplexes Gesamtkonzept vorgelegt, um Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen und dabei alle Kräfte auf die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens zu richten. Die Mitgliedsstaaten werden in diesem Rahmen stärker als bisher in die Verantwortung für Ihre Klimapolitik genommen. Noch ist nichts entschieden und es werden schwierige Verhandlungsrunden erwartet. Nach der Sommerpause geht es weiter im Verfahren, dann bestimmt das EU-Parlament die Berichterstatter, dies sich der jeweiligen Dossiers annehmen.

DER MITTELSTANDSVERBUND sieht in dem Paket nicht nur Licht, sondern auch Schatten.  „Der notwendige Transformationsprozess kann nur mit einem Flankieren von planbaren und verlässlichen Leitplanken gerade für kleine und mittlere Unternehmen gelingen. Diese Mammutaufgabe werden wir nur gemeinsam mit allen Akteuren im Schulterschluss bewältigen können“, so Dr. Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer des MITTELSTANDSVERBUNDES.

Aber nicht nur die Politik ist gefordert. DER MITTELSTANDSVERBUND unterstützt schon heute mit dem Projekt „Klimaverbund Mittelstand“ Mitgliedsunternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität. 17 Klimaprofis von projektbeteiligten Verbundgruppen wurden fit gemacht für eine Rundumberatung in den Bereichen Klima, Energie und Ressourcen. Das Projekt wird gefördert von der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI) des Bundesumweltministeriums (BMU). 

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